Texte

Gegen die Abwertung der Welt

Franz Baumgartners 1984/2024

Die Vorstellungen vom Leben auf dem und vor allem vom Lande verändern sich mit der Zeit. Jenes Eingebunden sein in die Naturgegebenheiten bedeutet immer harte Arbeit, ob vor hundert oder vierzig Jahren oder heute. Die romantische Vorstellung von einer Verwirklichung der Absage an Konsumzwänge und einer Art freien Lebens ist zwar wieder in – vor allem bei denjenigen, die es sich leisten können- aber die sich verändernden Produktionsbedingungen und -Zwänge vernichten mehr und mehr den Wert des Landes und seiner Bearbeitung, den Mehrwert der Bauerei eben, um den es vorrangig geht und weniger um das, was wächst und gedeiht. Begradigungen, Monokulturen, Massentierhaltung, Vermüllung und der selbst gemachte Klimawandel lassen das einst als Geschenk Empfundene kaum überlebensfähig bleiben. Was wir uns verdienen mussten, scheint längst verscherbelt. Tiere, unsere Mitgeschöp- fe, sind in der Gesetzgebung allenfalls Dinge und die Kindheit auf einem ehemals intakten Land bestenfalls verblassende Erinnerung. Das Leben auf und mit dem Land war aber immer auch Anschauung, doppelt hart ganz sicher, aber von manchem als reich empfunden und erlebt.

Die Mühe lohnte sich anders. Und das Innehalten war anders, so wie die Jahreszeiten anders waren. Spätestens mit dem Verschwinden der Gletscher, ehedem ein Versprechen auf Ewigkeit, tun wir unser Übriges dazu. Dem Leben ausgeliefert, liefern wir es uns aus. So werden wir bei der Fahrt über Land, ob durch die Berge, Wälder, an die Seen und Strände oder durch die Ebene des Niederrheins dieses Wandels ansichtig, der einem Genozid von Kulturen gleicht. Lebensformen, Sprachen, Bilder, Bodenschätze, Kultivierungen, auch Unwägbarkeiten und Gefährdungen verschwinden, ohne, dass das sogenannte Neue wirklich Gewinn zu bedeuten vermag. Wir haben gelernt, in die Höhe zu bauen und die Wurzeln vergessen, aber während Steine zu sprechen vermögen, bleibt der Beton des Menschen gemachter stummer Spiegel seines Antlitzes, grau und trostlos, auch wenn er mit der Zeit verfliegt. Die verwaisten Brachen bleiben. Aber der Grund ist nicht allein unter unseren Füßen und eben doch genau dort. Weit und voll war er und die Welt klein und vielleicht wirklicher. Unsicher immer. Der Sichere kann das Ungeheure wohl nie begreifen. Was will er bis zur eigenen Vergiftung und Wahrnehmungsfähigkeit immunisiert schon bezeugen? Manchmal bezeugte das Aus der Welt fallen genau diese. Unglaubliche Spuren hinterließ es und spurlos machen wir uns vom Acker.

Ausstellungsansicht Museum Vida, Schweden

Text Jörg Carlsson


Ausstellungsansicht
Ausstellungsansicht

Was muss man denn wissen, muss man überhaupt etwas wissen, wenn man sich Franz Baumgartners Bilder anschaut? Muss man wissen, dass Franz Baumgartner 1962 in Kleve, Deutschland, geboren wurde? Dass er zunächst in Köln bei Professor Marx (1985-1989) und dann an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Professor Krieg (1989-1993) studiert hat? Dass er mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet wurde? Dass seine Werke in mehreren europäischen Ländern, Deutschland, Italien, Österreich, Niederlande und nun eben auch in Schweden ausgestellt wurden und werden? Muss man wissen, wer seine Vorbilder sind? Welche Künstler ihn beeinflusst haben? Welche Rolle Fotografien für seine Werke spielen?

Was soll ich denn über Dich und Deine Malerei schreiben, habe ich Franz Baumgartner gefragt. Schreib aus Deiner Perspektive, aus der des Sammlers, der seit langem mit den Bildern lebt. Theoretisches gibt es schon genug zu lesen über meine Kunst. So lautete seine kurze Antwort.

Im Jahr 2000 sah ich zum ersten Mal Franz Baumgartners Bilder. Das war im Detmolder Schloss, eine Ausstellung der Lippischen Gesellschaft für Kunst. Viel Grau. Viel mattes Grün. Eine Straßenlaterne. Große Leinwände mit einem Streifen Grün und grauem Himmel bis ins Unendliche. Es waren Landschaften als Stillleben. Vereinzelt sah man Zeugnisse des Menschen in ihnen, die besagte Straßenlaterne, Schläuche auf einem Parkplatz mit leeren Blumenbottichen, eine gepflügte Ackerfurche mit einem grauen Wolkenhimmel darüber. Es reichte mir nicht, diese Bilder in der Ausstellung angesehen zu haben, ich musste diese Welt, die mich so direkt und tief ansprach mit nach Hause nehmen. Da meine finanziellen Mittel recht begrenzt waren, sollte es die „Ackerfurche“ sein, ein kleinformatiges Bild, das auch heute noch zu meinen Favoriten zählt. Da auch der Schlossherr, Prinz zur Lippe, zu den Interessenten für dieses Bild gehörte, musste ich mehrfach mit ihm telefonieren, bis er es mich kaufen ließ. Telefonate mit Prinzen gehörten für mich nicht zum Alltäglichen, und so ist mir diese Geschichte für immer in Erinnerung geblieben. Besonders das „Durchlaucht“ in der Anrede des Prinzen.



Erst zwei Jahre später habe ich Franz dann persönlich kennengelernt bei einem Besuch in seinem damaligen Kölner Atelier, das in einem Lagerhaus eines stillgelegten Güterbahnhofs gelegen war. Gross, hell, im Winter schrecklich kalt, nur angewärmt von einem kleinen elektrischen Ofen. Man bekam Pulverkaffee zu trinken, während Franz eine Zigarette rauchte und die neuesten Werke zeigte. Am liebsten hätte ich sie alle gekauft, ich fühlte mich so magisch angezogen von dieser Baumgartnerschen Welt der Ruhe und der Grundlosigkeit. Der Stille und der Ziellosigkeit. Der erste Besuch endete mit meinem zweiten Werk von ihm, einer Aussicht über den Lago di Bolsena. Jahre später habe ich in der Stadt Bolsena genau diese Perspektive wiedergesehen, aus einem kleinen Park hinaus sieht man über einen kleinen Platz und ein langgestrecktes Betongeländer auf den See. Im Park stehen einige Bäume. An dieser Aussicht, einem Foto, das ich selbst davon machte und Franz Baumgartners Bild Bolsena, habe ich ein wenig gelernt, wie bei Franz aus einer Fotografie ein Ölgemälde werden kann. Wie eine Fotografie durch Wegnehmen von hunderten von Unruhe stiftenden Details gereinigt wird, von Zeit und sinnloser Bewegung befreit wird, und so in eine andere Welt verwandelt wird, in eine Welt, die mich heute genau so sehr anzieht wie dem Tag im Detmolder Schloss als ich die Bilder zum ersten Male sah. Der Blick der Bilder selbst und ihr Anblick öffnen mir so viel mehr und anderes als die Aussicht und das Foto an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Zeit mit endgültig bestimmten Details. Details, die mich das Wesentliche nicht erkennen lassen. Der Wind, der Abfall über den kleinen Platz treibt, von den Bäumen fallende Blätter, Eis essende Menschen und vieles mehr, das mir die Ruhe und die Konzentration nehmen. Der Mensch in den menschenleeren Bildern Franz Baumgartners ist man selbst, der Betrachter. Ruhe und Konzentration, die mir vom Aufwachen am Morgen bis zum Einschlafen am Abend von allen möglichen Sinneseindrücken, Lärm, Nachrichten, Geschwätz genommen werden, geben mir die Bilder von Franz. Die Stille seiner Werke gibt mir eine Konzentration, eine Möglichkeit, meine Gedanken zu entfalten und letztlich, auch wenn sich das pathetisch anhören kann, mich selbst zu entdecken. Diesen Umgang mit Franz´ Kunst möge wer will als egoistisch oder egozentrisch bezeichnen. Das stört mich nicht, und ich glaube, meine Art seine Kunst für mich zu nutzen, stört Franz auch nicht (ich habe ihn nicht gefragt). Ich brauche auch Franz nicht, um in seiner Kunst Wege zu mir selbst zu finden (außer natürlich als Produzent dieser Werke). Ich muss auch nichts wissen über seine Herkunft von einer Gärtner- und Baumschulefamilie, seinen akademischen Lehrern Marx und Krieg oder seinen künstlerischen Vorbildern. Ich müsste ihn auch nicht persönlich kennen, um seine Kunst zu lieben. Diese Kunst lebt nämlich ihr eigenes Leben, in Museen und in Häusern wie meinem und in den Köpfen von zahllosen Menschen. Ich mag Franz sehr gerne als Mensch, trinke gerne Pulverkaffee mit ihm, atme den Rauch seiner Zigaretten ein und lache mit ihm über „Scheidungsbilder“ (das sind Bilder die ich nicht kaufen darf, da mir meine Frau Karolin sonst mit Scheidung droht, Bilder, die zu viel gar nichts zeigen oder nur Betonflächen mit leeren Blumenkübeln oder Garagen). Man muss nichts wissen und Franz nicht kennen, um in Gedanken auf der Wiese von „recht ordentlich“ spazieren zu gehen. Das Bild kann der Ausgangspunkt sein für eine Reise ins Ungewisse, für einen Spaziergang im eigenen Kopf, mit oder ohne Ziel, das Bild gibt einem kein Ziel vor und keine bestimmenden Details. Vielleicht führt dieser Weg zu einem selbst, zu Gegenden, die man noch nicht kannte. Das Bild gibt diese Möglichkeiten, es gibt auch die Ruhe, die für eine solche Reise notwendig ist, aber diese Ruhe gibt das Bild nur dem und nur dem zurück, der bereit ist, sich Zeit zu nehmen für das Gemälde und für sich selbst. Wer an den Bildern vorbei eilt wie er in seinem smartphone unkonzentriert Nachrichten durchblättert, wird nichts davon haben. Dem Eiligen erscheinen die dicht gemalten Bilder fern und unbeeinflussbar, geschlossen, unverständlich und anonym. Am besten nimmt man einen Stuhl, setzt sich vor ein Bild und beginnt den Weg zunächst in das Bild hinein und ganz von selbst vielleicht nach einer Weile aus dem Bild heraus in das Nichtabgebildete, das das vor dem Bild liegt oder rechts oder links davon oder eben im Horizont darüber. Alles kann sich im Frühnebel zwischen den „ganz ordentlich(en)“ Baumreihen verbergen.